Die gehäutete Schlange

(ein Heldenwerk-Abenteuer von Michael Maasberg)

Es war ein kalter Wintertag. Zwar lag kein Schnee, aber es war trotzdem unangenehm bei den kühlen Temperaturen zu reisen. Umso schöner war es abends am flammenden Kamin einer Herberge zu sitzen und im Schankraum ein Bier zu trinken. Da es gerade so ein angenehmer Abend war, packte ich meine Leier aus und sang ein Lied.

Ich spielte eines meiner selbst gedichteten Lieder. Es handelte von einem Bierbold, der eine Gaststätte in Angbar terrorisierte. Ein schlauer Traviageweihte schaffte es, die Wirtsleute zu erlösen, indem er durch eine List den Störenfried in ein Bierfass bannte.

Das Lied kam in der Herberge gut an. Einige Silberstücke landeten auf dem Tisch vor mir. Wenn ihr so erfolgreich als Musikantin seid, werde ich wohl bald wieder alleine durch die Lande reisen, meinte Hagen. Noch braucht ihr euch da keine Sorgen machen, beruhigte ich den Krieger. Solange meine Erlebnisse mit euch mir genug Stoff für neue Lieder bieten, reite ich gerne an eurer Seite. Ich blickte in seine braunen Augen.

Bardin, singt noch ein Lied, forderte einer der Gäste. Ich nahm ein Schluck Bier und griff wieder zu meiner Laute. Diesmal sang ich von einem Hexer, der einen dunklen Pakt einging, um sich drei Hexen und eine Dorfgemeinschaft gefügig zu machen.

***

Da dies ein sehr angenehmer Abend war, teilten Hagen und ich uns Kammer und Bett in dieser Nacht. Nachdem wir uns unter dem Bettlaken vergnügt hatten, schliefen wir beide erschöpft ein.

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Es roch verbrannt. Durchs Fenster konnte ich sehen, dass der Stall neben der Herberge lichterloh in Flammen stand. Ich weckte Hagen auf. Schnell schlüpften wir in unsere Kleider und rannten nach draußen, um bei den Löscharbeiten zu helfen.

Der Stall war fast abgebrannt. Diesen konnte man wohl nicht mehr retten. Es musste verhindert werden, dass das Feuer nun auf das Gasthaus überspringt. Außerdem wurde eine Person vermisst: Curon, der Stellknecht. Wahrscheinlich befand er sich noch im Stall. Selbstlos stürzte Hagen sich in die Flammen, um den Knecht zu suchen. Ich reihte mich in der Löschkette ein, um das Feuer zu ersticken.

Der Stall war vollkommen abgebrannt, aber wir konnten verhindern, dass das Feuer auf die Herberge übersprang. Hustend kam Hagen aus dem dunklen Rauch hervor. Er schleppte Curon mit sich. Für diesen kam aber jede Hilfe zu spät. Der Wirt meinte, dass Curon sich vermutlich auf dem Dachboden des Stalls zurückgezogen habe, um sich dort mit Schnaps zu betrinken und eine Pfeife zu rauchen. Dies tat er öfters.  Diesmal schien er aber eingeschlafen zu sein. Das wurde sein Verhängnis.

***

Nachdem der Brand erfolgreich bekämpft wurde, spendierte der Wirt ein Glas seines bestens Weins, um den Rauch aus den Kehlen und den Schrecken aus den Knochen zu spülen. Eine junge Dame näherte sich uns. Auffällig war ihr Tattoo auf der Stirn, eine Lotusblüte. Sie stellte sich als Elysia vor. Es hatte sie beeindruckt, wie wir bei der Brandbekämpfung die Initiative ergriffen hatten. Elysia wollte wissen, ob wir schon mal von der Gemeinschaft des Lernens gehört hatten.

Das hatte ich tatsächlich. Die Gemeinschaft wurde von dem Hesindegeweihten Melchior Arenbruch gegründet. Nachdem vor zwei Jahren der Hochmeister der Gelehrsamen Stube im Hesindetempel zu Kuslik, Verian Fock, verstarb, stellte sich Arenbruch zur Wahl für die Nachfolge von Fock. Dabei forderte er die radikale Öffnung der Heiligen Bibliothek, um das gehütete Wissen für jeden zugänglich zu machen.

Das kam bei den größtenteils konservativen Mitgliedern der Hesindegemeinschaft nicht gut an. Ihnen war es wichtig ihr geheimes Wissen weiterhin für sich zu behalten. Böse Zungen könnten auch behaupten, dass die Gelehrten das gemeine Volk absichtlich für dumm halten wollen, um dieses besser bevormunden zu können. Arenbruch wurde nicht zum neuen Hochmeister gewählt, das Amt ging an jemanden anderen.

Melchior blieb der Hesindegemeinde aber als wandernder Lehrer und Prediger erhalten. Recht bald sammelte er eine stetige wachsende Anhängerschar um sich: die Gemeinschaft des Lernens. Geweihte, Philosophen, Privatgelehrte oder Dozenten, aber auch Handwerksmeister und Künstler schlossen sich ihnen an. Um Wissen weiterzugeben, aber auch um im Gegenzug welches zu erhalten. Während einige nur kurz an seiner Seite blieben, wurden andere zu einer verschworenen Gemeinschaft.

Elysia war beeindruckt von meinem Wissen. Ich hatte in einer Taverne die Geschichte von dieser Gemeinschaft gehört und mir gemerkt, um diese vielleicht mal als Vorlage für ein Lied, der Streit der Gelehrten, zu nehmen.

Nun begann sie zu erzählen: Vor einigen Tagen wurde Melchior von einem seiner Anhänger erstochen. Pieno Florigan, so der Name des Mörders, war seit fast drei Monaten in der Gemeinschaft und hat sich nie verdächtigt benommen. Er schien wie alle von Melchior inspiriert, war ein begabter Lehrer und voll des Lobes über Melchior. Es gab auch nie einen Streit. Deswegen wundert es mich, dass er Melchior umbrachte.

Direkt nach der Tat ist Pieno geflohen. Er stammte aus Vinsalt, deswegen vermute ich, dass er dorthin zurückgekehrt ist und untertauchen will. In Vinsalt lernte er bei der Kriegerakademie. Doch fand er da keine Erfüllung. Er ist ein Feingeist, eher der Philosophie und Astrologie zugetan. Am meisten Spaß bereitet ihm aber das Reiten.

In der Gemeinschaft ist man aufgebracht wegen der Tat. Viele wollen Vergeltung für den Mord und den Tod von Pieno. Ich möchte ihm aber lebend finden, sein Motiv verstehen und ihm vor ein ordentliches Gericht bringen. Deswegen bin ich alleine aufgebrochen, um ihm zu finden. Doch umso näher ich Vinsalt komme, umso mehr verlässt mich die Zuversicht, ihm alleine finden zu können. Wollt ihr mir vielleicht dabei helfen?

Meine Hände legte sich über die von Elysia: Wir helfen euch gerne. Mir kommt es so vor, als würde euch an Pieno viel liegen?

Verschämt senkte sie ihren Blick: Einige Tage vor der Tat begann ich eine Liebschaft mit Pieno. Umso unbegreiflicher ist mir nun diese Tat. Ich möchte gerne begreifen, warum er Melchior tötete und will ihn auch vor der wütenden Meute schützen.

***

Vinsalt, auch die Stadt der hundert Türme genannt, ist die größte Stadt des Horasreiches und damit auch eine der größten Städte Aventuriens. Von dem Geist der Renscentica –  die Rückbesinnung auf die Geschichte mit dem gleichzeitigen Drang zum Fortschritt – erfüllt, sieht man sich als Zentrum einer neuen Zeit. Vor 500 Jahren wurde die Stadt der hundert Türme auf den Ruinen der antiken Kaiserstadt Bosparan errichtet und ist somit gleichermaßen eine der ältesten und eine der jüngsten Städte im Horasreich.

Diese Begegnung von glorreicher Vergangenheit und aufziehender Zukunft prägt die Stadt und ihre Bewohner.  Überall erblickt man Wunderwerke wie die Vinsalter Turmuhr, die Wassertürme der ummauerten Nordstadt oder die Kettenfähre über den Yaquir. Man staunt über die Kunstfertigkeit der Manufakturen, steht im Schatten erhabener Monumentalbauten wie der Oper, dem Fürstenpalast oder des Praiostempels – immer wieder Seite an Seite mit verrottenden Mietskasernen, Ruinen antiker Tempel und verwitterten Denkmälern.

Vinsalt ist die Stadt der Gelegenheiten, hier schmieden die Menschen an ihrem Schicksal im neuen Zeitalter. Eine Stadt der Ordnung, der Macht und der Errungenschaften, doch auch die Kapitale der Verbrecher und Verschwörer.

***

Die Suche nach Pieno wurde zu einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Eine einzelne Person unter 60000 Leuten zu finden ist nicht einfach. Unser einziger Anhaltspunkt war die Kriegerakademie, wo Pieno seine Ausbildung abschloss. Dort hörten wir uns um. Wir trafen tatsächlich auf einen alten Kameraden von ihm, der sich an Pieno erinnern konnte. Pieno war ein hoffnungsvoller Rekrut. Er hatte eine Offizierslaufbahn angestrebt. Aber irgendwas ging dabei schief. Danach fing Pieno zu trinken an. Sein Bekannter konnte sich noch daran erinnern, dass Pieno den Heldenkeller in dieser Zeit häufiger aufsuchte.

Einer seiner früheren Saufkumpanen im Heldenkeller konnte sich daran erinnern, wie Pieno mit jemanden über die neuen Formen der Kriegsführung stritt. Sein Gesprächspartner konnte sich noch gut an den philosophischen Disput über die Ehre der Kriegskönigin Rondra gegen die kühle Strategie des Nandus erinnern. Pietro vertrat die Position des Strategen. Der Streit wurde so hitzig, dass er sich daraufhin nicht mehr mit seinem Gesprächspartner traf. Außerdem konnte er sich daran erinnern, dass Pieno im Stadtteil Alt-Bosparan wohnte.

Nandus ist ein Halbgott und wird in Vinsalt mehr verehrt als seine Mutter Hesinde. Da es jedoch keine Nandustempel gab, steuerten wir den Hesindetempel an. Wir fanden es auch als gute Gelegenheit den Vorsteher der Geweihten über den Tod von Melchior zu unterrichten. Uns empfing die Lehrmeisterin Arba von Silas. Sie zeigte sich sehr betroffen vom Tod Melchiors, auch wenn sie seine Art der Glaubensauslebung nicht begrüßte. Nach dem Tod von Verian Fock hatte sie sich auch um das Amt des Hochmeisters beworben, doch es wurde jemand anderes. Der Name Pieno Florigan sagte ihr nichts. Sie sah kurz fragend ihren Sekretär an, doch auch der schüttelte den Kopf.

Also hörten wir uns weiter in Alt-Bosparan um. Da trafen wir tatsächlich auf jemanden, der ihn kannte und uns verraten konnte, dass Pieno vor Kurzem bei der Witwe Isiz untergekommen ist. Die alte Dame, deren Mann und Kinder im Thronfolgekrieg vor zehn Jahren umgekommen sind, vermietet die oberen Zimmer ihres Hauses an alleinstehende Herren. Ihr Haus wäre leicht zu finden. Gleich neben der Stallmacherei Yaquirblitz.

***

Als wir an das Haus kamen, verließ gerade ein Mann das Gebäude. Wir klopften an der Tür. Die Witwe Isiz öffnete uns. Sie zeigte sich darüber erstaunt, wie viel Besuch der Herr Florigan an diesem Tag erhalte. Der Herr, der eben das Haus verließ, hätte auch Pieno besucht.

Sie führte uns zu seinem Zimmer. Als er auf ihr Klopfen nicht reagierte, öffnete sie die Tür. Die Witwe stieß einen lauten Schrei aus. Pieno Florigan lebte nicht mehr. Er lag tot auf dem Boden seines Zimmers.

Hagen stürmte sofort die Treppe runter, um den vermeintlichen Mörder zu finden. Die Witwe und ich alarmierten in der Zwischenzeit die Stadtgarde. Wir warteten in der Küche der Witwe auf das Eintreffen der Garde. In der Zwischenzeit kam Hagen zurück. Er hatte den Mörder mitgebracht und ein Geständnis aus ihm heraus geprügelt. Die Stadtwache nahm ihm bei ihrem Eintreffen gleich in Empfang und führte ihn ab. Später käme noch jemand vorbei, um die Leiche abzuholen. Wir baten die Witwe um Erlaubnis, uns noch im Zimmer von Pieno umsehen zu dürfen. Wir haben ihm im Auftrag einer alten Freundin gesucht. Vielleicht hätte sie gerne noch ein Erinnerungsstück an ihm.

***

Abends saßen wir bei loderndem Feuer im Kamin mit Elysia zusammen und erzählten ihr, was wir herausgefunden hatten.

Der Mörder, so Hagen, war ein Ludolfo Wagenrad. Er hatte Pieno am Vorabend in einer Kneipe getroffen. Da gab es eine Schlägerei, bei der Pieno Ludolfo einige harte Schläge zugeführt und wohl auch erniedrigt hat. Am nächsten Morgen traf Ludolfo jemanden, der bei der Schlägerei dabei war. Angeblich kennt er seinen Namen nicht. Jedenfalls sollte sich Pieno sehr abfällig über Ludolfos Schwester geäußert haben. Das hat Ludolfo sehr wütend gemacht. Er ist sofort zur Wohnung von Pieno marschiert und sich für die abfälligen Äußerungen gerächt, indem er mehrfach mit einem Dolch auf ihm einstach.

Elysia schüttelte den Kopf: Ich kann das nicht glauben. Es kann doch nicht sein, dass Pieno wegen einer Kneipenschlägerei sein Leben verloren hat.

Ich habe mich in seine Zimmer genauer umgesehen. Er starb an drei Messerstichen. Unter seinem Bett fanden wir ein Geheimfach im Boden. Darin war eine tiefgrüne Kapuzenrobe und die Gesichtsmaske eines Salamanders, sagte ich.

Mit den Informationen konnte Elysia nichts anfangen. Also fuhr ich fort: Ich dachte mir, ihr würdet gerne eine Erinnerung an Pieno haben. Deswegen habe ich eine der kleinen Hesindefiguren mitgenommen, die er in seinem Zimmer stehen hatte.

Als ich Elysia die Figur reichte, erschrak sie: Habt ihr das gesehen? Auf der Rückseite… da ist ein X eingeritzt! Das X ist das Zeichen für Xeledon, Hesindes halbgöttlicher Sohn. Nach ihm ist auch eine Meuchlergilde benannt. So wie es aussieht, haben sie Pieno angeheuert, um Melchior umzubringen. Und nun haben sie ihr Werkzeug beseitigt.

Nach einer Pause begann sie wieder zu sprechen: Trotzdem würde ich gerne wissen, wer den Auftrag dazu gegeben hat, mir die zwei wichtigsten Personen in meinem Leben zu rauben. Würde es euch was ausmachen, weiterzuforschen?

Wir versicherten ihr unsere Hilfe.

Ihr habt erzählt, dass ihr Pieos Zimmer durchsucht habt. Habt ihr sein Tagebuch gefunden? Ich kann mich entsinnen, dass er fleißig in sein Tagebuch schrieb. Vielleicht helfen uns seine Einträge weiter.

Hagen und ich schauten uns an. Wir hatten kein Tagebuch entdeckt.

***

Am nächsten Tag besuchten wir noch einmal die Witwe Isiz. Sie war gerade dabei das Zimmer von Pieno zu säubern und aufzuräumen. Sie hatte schon wieder eine Anfrage zur Vermietung. Bevor der neue Interessent, ein junger Magiestudent, dessen Eltern sehr wohlhabend waren, abspringt, musste das Zimmer in einem tadellosen Zustand sein. Auch sie erinnerte sich daran, dass der Herr Florigan immer fleißig Notizen in ein kleines Büchlein eintrug. Aber über den Verbleib des Buches konnte sie uns nichts sagen. Immerhin konnte sie uns berichten, dass er die letzten Tage entweder in der Taverne Heldenkeller war oder das Gestüt der Quendel besuchte, um dort auf einem Pferd auszureiten.

Da der Heldenkeller erst abends öffnete, besuchten wir das Gestüt der Quendel. Diese konnte sich an Pieno erinnern. Er war die letzten Tage öfters hier und hat sich ein Pferd gemietet, um damit auszureiten. Immer das gleiche Tier. Und nein, ein Buch hat er nicht zurückgelassen. Wir erzählten von seinem Ableben und das wir den Mord untersuchten. Die Quendel erlaubten uns die Box des Pferdes zu untersuchen, aber auch da hatte er das Buch nicht versteckt.

Ich kam mir die gesamte Zeit auf dem Gestüt beobachtet vor. Aber Hagen meinte, ich würde mir das nur einbilden.

Am Abend besuchten wir den Heldenkeller. Da war Pieno bestens bekannt. Man zeigte sich schockiert, als man von seinem Ableben erfuhr.  Vor kurzem war er noch in einer Kneipenschlägerei verwickelt. Ein Begleiter von ihm hätte diese wohl angezettelt. Auch jemand, auf dessen Ludolfos Beschreibung passte, war darin verwickelt. Der wurde von Pieno richtig gedemütigt. Seitdem hatte man keine der drei Gestalten mehr im Heldenkeller gesehen.

Es erwies sich als schwierig für uns, nützliche Information zu kommen. Wir bestellten uns noch ein Bier und Hagen verschwand auf die Latrine. Breit grinsend kehrte er zurück. Er hatte allen Grund zur Freude. Auf der Latrine fand er hinter einem losen Brett in der Wand ein kleines Büchlein. Beim Aufschlagen erwies es sich als Tagebuch von Pieno.

***

Das Tagebuch war eine interessante Lektüre. Die Einträge waren eher unregelmäßig, doch lassen sie auf eine Mitgliedschaft Pienos in einem Geheimbund schließen. Einträge berichteten von seinen zerbrochenen Hoffnungen auf eine Offizierslaufbahn, seine Verehrung zu Nandus und eine Veränderung, die vor einigen Jahren stattfand:

Nandus ist das Rätsel, nicht die Antwort. Ich werde selbst zur Antwort und habe meine Zuversicht. Das Labyrinth führte sie mich zu meiner Bestimmung: Ich bin der Salamander.

Vor drei Monaten hieß es: Der Salamander kriecht in das Nest der falschen Schlange. Doch in den Wochen danach wird deutlich, dass Pieno Sympathien für Melchior entwickelte. Der letzte Eintrag stammt aus der Nacht nach Melchiors Tod:

Der Verstand hat über das törichte Herz versagt. Der Wille der Meisterin hat sich erfüllt und Melchior kann uns keinen Schaden mehr zufügen. Doch warum finde ich keinen Frieden? Der Salamander lacht. Doch der Mensch weint. Ich werde dem Zirkel fernbleiben und mich meinem Labyrinth stellen.

***

Elysias Verdacht bestätigte sich, dass Pieno im Auftrag einer anderen Person handelte. Im Auftrag eines Geheimbundes, der den Halbgott Nandus verehrte und den Salamander als heiliges Tier betrachtete. Sein letzter Eintrag klang, als würde er Reue für seine Tat empfinden und sich von seinem Geheimbund lossagen wollen. Das wollte der Geheimbund nicht durchgehen lassen. Pieno musste mit seinem Leben zahlen.

Elysia vermutete, dass Arba von Silas, die Hohe Lehrmeisterin des Hesindetempels, dahintersteckte. Sie zählte als eine der größten Kritikerinnen der Gemeinschaft des Lernens und war eine erbitterte Widersacherin von Melchior Arenbruch. Aber es fehlte ihr an einem Beweis für ihren Verdacht. Trotzdem sollten wir mit dem Tagebuch und unseren Vermutungen am nächsten Tag die Behörden aufzusuchen. Falls dies erfolglos sein sollte, wollten wir Arba mit unseren Anschuldigungen konfrontieren, darauf hoffend, dass sie sich zu einem Fehler hinreißen lässt und sich verrät.

***

Wie geplant machten sich Hagen und ich am nächsten Tag zur Stadtwache. Als wir eine Straße überquerten, raste plötzlich eine Pferdekutsche auf uns zu. Der Kutscher machte keine Anstalten zu bremsen. Wir mussten zur Seite springen und konnten uns gerade so noch retten.

Geistesgegenwärtig nahm Hagen die Verfolgung der Kutsche auf. Sie kam in einer Sackgasse zu stehen. Hagen sprang auf die Kutsche,  um sich den Fahrer vorzunehmen. Aber dieser lebte nicht mehr. Ein in sich zusammengesunkener Leichnam saß auf dem Kutschbock.

Die Tür der Kutsche ging auf. Ein Mann sprang auf die Straße und rannte davon. Aber er lief direkt in meine Arme. Er kam mir bekannt vor. Ich konnte mich nur nicht erinnern, woher ich ihn kannte. Ich zog meinen Degen. Er drehte um, wollte in die andere Richtung flüchten. Doch da kam Hagen mit seinen beiden Schwertern in der Hand. Der Eingekesselte zog einen Dolch mit einer gezackten Klinge. Doch lange konnte er unseren Angriffen, gerade den zwei herum wirbelnde Schwertern Hagens, keinen Widerstand leisten.

Als der leblos vor uns am Boden lag, erinnerte ich mich wieder, woher ich ihn kannte. Wir hatten ihn schon mal im Hesindetempel gesehen. Er war der Sekretär von Arba von Silas. Beim Durchsuchen der Leiche entdeckten wir ein geritztes X auf der Innenseite seines Oberarms.

***

Pieno ermordete Melchior im Auftrag einer Geheimgesellschaft, der er selbst angehörte. Sein eigener Tod stand im Zusammenhang mit den Meuchlern der Xeledon-Schule. Arbas Schreiber war einer dieser Meuchler und steckte hinter einem Attentat auf uns. Arba vertrat eine radikal andere Position als Melchior und hatte ihm offensiv angegangen. Sie galt als skrupellos und machtversessen.

Das waren alles keine handfesten Beweise. Doch es reichte aus, um die Ermittler der Vinsalter Behörde auf unsere Seite zu bringen. Deren Nachforschungen brachten die Hesindekirche in Unruhe. Da diese bemüht war, keine negativen Schlagzeilen zu erzeugen, kam Arba ins Straucheln. Konnte Arba sich aufgrund fehlender Beweise nicht der weltlichen Gerichtsbarkeit stellen, entschied das kirchliche Gericht über ihr Schicksal.

Durch die möglichen Verwicklungen wurde Arba für die Hesindekirche untragbar. Sie musste von ihrem Amt zurücktreten. Da die Hesindekirche die Prinzipien des Wandels, der Bewährung und der Vergebung hochhält, wurde Arba in den Stand einer Novizin zurückversetzt und in einen entlegenen Tempel ins Exil geschickt.

Keinen Monat später wurde Lucara von Vinsalt zu ihrer Nachfolgerin als Tempelvorsteherin berufen. Der jung aufgestiegenen Kirchenpolitikerin wurde einst eine goldene Zukunft vorausgesagt, doch durch ihren krankhaften Ehrgeiz verstrickte sie sich in eine Verschwörung, die sie zu Fall brachte. Die letzten sechs Jahre verrichtete sie demütig den Tempeldienst auf den Zyklopeninseln. Ihre Erfahrung als gescheiterte Verschwörerin und das Exil hatten sie zum Kern ihres Glaubens zurückfinden lassen. Ihre neue Aufgabe verfolgte Lucara mit der gleichen Zielstrebigkeit, mit  der sie vor Jahren den Zielen der Kabale zugearbeitet hatte. Erst misstrauten ihr viele in ihrer Kirche und ihrem neuen Tempel, doch Lucara hatte ihr Handwerk in der Politik und der Intrige nicht verlernt. Nur dieses Mal setzte sie diese ganz im Sinne Hesinde ein.

Die Gemeinschaft des Lernens löste sich nach einigen Jahren auf. Nach Melchiors Tod eskalierte der Streit über das Vermächtnis seiner Lehre. Da sich seine Anhänger uneins waren, zersplitterte die Gruppe. Inwiefern die Hesindekirche und ihre Geheimbünde dabei eine Rolle spielten, kann man schlecht sagen. Hagen und ich blieben noch einige Wochen in Vinsalt. Elysia zeigte sich uns m Sinn von Melchior Arenbruch dankbar und lehrte uns einige ihrer Fähigkeiten.


Golgolgol

Golgolgol heißt im wirklichen Leben Stefan Will. Er wurde zum DSA-Spieler, weil sein Bruder D&D besser fand, und ihn deswegen seine DSA-Basisbox schenkte. Bis Mitte der 1990er Jahren war Stefan in der Rollenspielszene sehr aktiv und probierte verschiedene Systeme aus. Nach einer langen Pause fand er 2020 das Interesse am Pen und Paper wieder und kehrte zu seinem "Heimatsystem" DSA zurück. Über die Änderungen im Lauf der Jahre war er sehr erstaunt. Trotzdem nahm er das Hobby begeistert wieder auf und gründete mit einem Mitspieler die Republik Norisburg, die zur Heimat ihrer Spielfiguren wurde. Hier im Blog berichtet Stefan von seinen Spielrunden und teilt seine Gedanken zu P&P-Themen mit.

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