Hexenreigen

(Heldenwerk-Abenteuer von Dominik Hladek)

Unsere Reise hatte kein festes Ziel. Wir folgten einfach der Hauptstraße, machten in Dörfern und Städten Halt und hörten uns um, welche Sorgen die Leute plagten. Meistens war dies wenig spannend: Streit mit dem Nachbarn, Liebeskummer oder Geldsorgen waren die meist auftauchende Probleme. Da konnten wir den Leuten auch nicht immer helfen. Die Hoffnung an Stoff für meine Heldenlieder zu kommen, ließ schon etwas nach. Trotzdem begleitete ich Hagen weiter.

Wir ritten am frühen Morgen durch den Wald, als wir einen Hilferuf hörten. Wir stiegen von unseren Pferden ab und folgten der Stimme durch das Dickicht. An einer Lichtung sahen wir eine junge Frau auf dem Boden sitzen. Um ihr herum lagen Äpfel und ein Korb. Gut, dass ihr da seid, freute sich das rothaarige Mädchen. Ich bin gestürzt, dabei habe ich mir den Knöchel verstaut und all die Äpfel, die ich gepflückt habe, sind aus meinem Korb gefallen. Könnt ihr mir helfen, die Äpfel wieder einzusammeln und mich dann in mein Dorf bringen?

Während Hagen die Äpfel einsammelte, sah ich mir den Knöchel des Mädchens genauer an. Ich legte ihr einen Verband an, stützte sie und brachte sie zu unseren Pferden. Hagen folgte uns mit dem gefüllten Apfelkorb in der Hand.

Unterwegs stellte sich die junge Frau als Alvetia vor: Ehrlich gesagt, habe ich mir den Knöchel gar nicht verstaucht. Ich kann auch wieder gut laufen. Seid mir nicht böse, dass ich euch getäuscht habe. Aber ich suche jemanden, der mir in einer anderen Sache hilft.

Hagen war schon etwas verärgert darüber, dass uns Alvetia anschwindelte. Doch wir wollten uns erst einmal anhören, was ihre Bitte war: Ich bin eine Hexe. Gemeinsam mit zwei anderen Frauen, die hier im Wald leben, bilde ich einen Hexenzirkel. Wir wollen aber nichts Böses. Wir möchten nur unsere Religion ausleben. Vor einigen Jahren schloss sich aber ein Mann unseren Zirkel an. Sein Name ist Cordax. Anfangs war er wirklich sehr nett zu uns, doch nach einem Jahr wurde er unfreundlich und verbittert. Gleichzeitig gewann er mehr an Macht und begann uns zu unterdrücken. Er muss irgendeinen Pakt  mit einem mächtigen Wesen eingegangen sein. Aber mehr weiß ich auch nicht davon. Wir haben schon versucht ihn selber loszuwerden. Doch er verfügt über zu viel Macht über uns. Er hat Ampullen mit unserem Blut in seiner Mühle. Dadurch kann er uns kontrollieren. Wenn ihr das Blut ihm entwenden könntet, dann können meine Schwestern und ihr ihm gemeinsam stellen. Es würde auch ausreichen, wenn ihr seinen mächtigen Pakt brechen könntet. Oder vielleicht werdet ihr auch alleine mit ihm fertig. Egal wie, bitte helft uns! Cordax ist ein wahres Scheusal und wir müssen ihn unbedingt loswerden. Bitte!

Da uns Alvetia schon einmal angeschwindelt hatte, war ich bei ihrem Hilfegesuch eher skeptisch. Aber Hagen war von der neuen Aufgabe begeistert und versprach ihr unsere Hilfe: Holde Maid, gerne wollen wir euch und euren Schwestern helfen. Wir werden euch nun zurück zu eurem Dorf bringen. Unterwegs könnt ihr uns sicher noch mehr erzählen, was wir wissen müssen.

Alvetia stieg auf Hagens Pferd mit auf und wir brachten sie ins Dorf Wirselheim. Während sie weitererzählte, sah sie sich unterwegs immer wieder um, als würde sie nach etwas Ausschau halten: Wir müssen vorsichtig sein. Cordax hat einen Raben, Pflückeschnabel, der für ihn durch die Gegend fliegt und spioniert. Wir sollten vermeiden, dass er von unserem Ansinnen erfährt. Sonst wird er wohl sofort seinen Meister informieren. Wenn ihr meine Schwestern Satunya und Madayana ansprecht, werden die euch sicher auch behilflich sein. Ich kann euch verraten, wo ihr sie im Wald finden werdet.

***

Wir brachten Alvetia zum Bauernhof ihrer Eltern. Sie war sehr dankbar, dass wir ihr unsere Hilfe in Aussicht stellten und versprachen, uns bei ihr zu melden, wenn wir etwas erreicht hätten. Danach steuerten wir die Taverne Zum Hauer für ein zweites Frühstück an. Der Wirt Ugdalf brachte uns eine große Brotzeitplatte und für jeden von uns einen Krug Bier. Der Tageszeit gemäß war in der Taverne kaum was los.

Ein dickleibiger Mann trat an unserem Tisch heran: Fremde in unserem Ort. Was führt euch zu uns?

Wir haben im Wald ein Mädchen gefunden, das gestürzt ist und sich den Fuß verstaucht hat. Alvetia. Wir haben sie zu ihrem Hof zurückgebracht, antwortete Hagen.

Ach ja, Alvetia ist ein gutes Mädchen, auch wenn manche hier anderes behaupten. Aber dummes Geschwätz gibt es überall, meinte der Mann.

Ihr scheint euch hier gut auszukennen. Nehmt doch Platz und erzählt uns etwas über die Gegend, forderte ich den Mann auf.

Dieser nahm das Angebot gerne an: Ich sollte mich auch gut auskennen hier. Ich bin Baldur, der Dorfbüttel. Ich sorge hier in Wirselheim für Recht und Ordnung. Unser Dorf hat seinen Namen von dem vielen Wirselkraut hier in der Gegend. Ugdalf macht einen hervorragenden Schnaps daraus. Die meisten Leute hier sind Bauern. Aber sehr friedlich. Ich habe hier wenig zu tun. Nur manchmal sorgen Fremde für etwas Ärger.

Da habt ihr von uns nichts zu befürchten. Wir wollen keinen Ärger machen, versicherte ich dem Dorfbüttel. Aber ihr sprach eben vom dummen Geschwätz. Was spricht man denn so über Alevita?

Ach, gebt darauf nichts, meinte Baldur. Das junge Ding verbringt viel Zeit im Wald. Manche Leute halten sie deswegen für eine Hexe. Aber ich kenne sie schon, seitdem sie laufen kann. An dem Gerede ist nichts dran. Das Mädchen mag einfach nur die Natur.

Gibt es denn hier Hexen, fragte ich. Hagen war gerade sehr mit seiner Brotzeit beschäftigt.

Baldur nickte: Es soll hier tatsächlich einen Hexenzirkel geben. Einige Frauen leben im Wald und können angeblich auch magische Tränke brauen. Der einzige magische Trank, an dem ich interessiert bin, ist Ugdalfs Schnaps. Der Büttel lachte. Angeblich wurden die Hexen auch mal gesehen, wie sie bei Vollmond nackt auf dem Gipfel des Großen Kopfes tanzten. Das ist ein Berg hier in der Nähe. Im Gebirge gibt es auch einen Hexenweiher, der Wünsche erfüllen soll. Als ich jung und verliebt war, hatte ich das mal ausprobiert. Mein Wunsch wurde nicht erfüllt. Sonst wäre ich nun Alevitas Vater. Wieder lachte Baldur.

Ich lächelte gequält und wollte einen Schluck von meinem Bier nehmen. Doch da schwamm mir was entgegen. Ich fischte ein langes dunkles Haar aus dem Krug.

Baldur lachte erneut laut auf: Ugdalf sollte Warnhinweise anbringen. Seht euch ihn an mit seiner Haarpracht! Vor einem halben Jahr noch war er kahlköpfig und nun hat er so viele Haare auf dem Kopf, dass er sie überall verliert.

Hagen hatte gerade mal nicht den Mund voll und konnte sich an der Unterhaltung beteiligen: Was ist geschehen?

Etwas weiter nördlich von hier befindet sich eine alte Mühle, erzählte Baldur. Seit einiger Zeit wohnt dort ein Magier, Cordax heißt er. Ein unfreundlicher Geselle, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben will. Aber viele der Dorfbewohner gehen trotzdem zu ihm, wenn man ein Gebrechen oder Anliegen hat. Wenn man ihm genug Gold anbietet, hilft er. Ugdalfs half er zu einem neuen Haarwuchs. Darauf ist Ugdalf besonders stolz.

Und ihr als Büttel toleriert das Treiben von Cordax, wollte Hagen wissen, bevor er sich ein Stück Wurstbrot in den Mund schob.

Er macht nichts Schlimmes, meinte der Dorfbüttel. Er ist zwar ein Kotzbrocken, aber er hilft den Leuten, auch wenn er manche ausnimmt. Aber so lange er nicht gegen das Gesetz verstößt, habe ich keinen Grund, was gegen ihn zu unternehmen. Aber auch über ihn gibt es Gerede. Manche behaupten, dass er mit den Waldhexen unter einer Decke steckt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wieder lachte Baldur laut auf.

Inzwischen war die Brotzeitplatte größtenteils vertilgt. Mehr von Hagen, als von mir. Aber Krieger müssen auch viel essen, damit sie groß und stark bleiben. Auch unsere Bierkrüge waren fast leer. Wir bestellten drei Gläser des Wirselheimer Kräuterschnapses, den Baldur so sehr rühmte. Diesmal war es an ihm, eines von Ugdalfs Haaren aus seinem Glas zu fischen, was er unter lautem Gelächter tat. Danach verabschiedeten wir uns von dem redseligen Büttel und verließen die Taverne.

***

Unser nächstes Ziel sollte die Wohnhöhle der Hexe Satunya sein. Alevita hatte uns den Weg dorthin beschrieben. Hagen fiel auf, dass uns ein Rabe folgte. Deswegen vermieden wir es, uns zu unterhalten und ritten schweigend nebeneinander her. Plötzlich stürzte dieser im Sturzflug auf mich zu. Ich konnte meinen Kopf noch zur Seite ziehen. Auf diesen Angriff waren wir nicht vorbereitet. Laut krächzend flog er einen Bogen und griff erneut an. Wieder hatte er es auf mich abgesehen. Dabei musste er einen Hieb von Hagens Schwert einstecken. Mein Angriff ging ins Leere. Aber ich konnte auch dem Schnabel des Raben, der auf meinen Kopf einschlagen wollte, ausweichen. Der Rabe blieb hartnäckig und stürzte sich erneut auf mich. Doch so weit kam er nicht. Mit einem gut gezielten Schlag brachte Hagen den Raben zu Boden. Mein Retter stieg von seinem Pferd, hüllte den Leichnam des Raben in ein Tuch und steckte diesen in seinem Rucksack.

Meint ihr, das war Pflückeschnabel, fragte ich ihm.

Das wird uns bestimmt Satunya verraten können. Sie kennt das Viech sicherlich, antworte er.

***

Wir kamen an einem Baum vorbei. Das war nichts Ungewöhnliches, trotzdem erregte etwas meine Aufmerksamkeit an diesem Baum. In der Baumkrone befand sich eine Art Vogelnest, doch sah es nicht wie ein gewöhnliches Nest aus. Mehr wie ein Bienenstock, aber irgendwie war es keins von beiden. Ich wollte mir das näher anschauen, doch Hagen empfand es als Zeitverschwendung. Ich erinnerte Hagen daran, dass wir es mit Hexen und Zauberern zu tun hätten. Da kann jede Kleinigkeit wichtig sein.

Ich kletterte auf den Baum, um das Nest herunterzuholen. Es war kreisförmig und hatte an einer Seite eine Öffnung. Ich schüttelte es. Es schien was drin zu sein. Da ich nicht einfach so hineinlangen wollte, schüttete ich den Inhalt auf dem Boden aus. Ein Rabenei und eine goldene Brosche.

Das sind also eure Hilfsmittel gegen dunkele Zauber, spottete Hagen. Ich packte die Sachen trotzdem ein.

***

Die Hexe Satunya lebte in einer Wurzelhöhle unter einem Baum. Da wir nicht einfach so in ihre Höhle eintreten wollten, rief ich ihren Namen. Eine grauhaarige Frau mit einer Kröte auf der Schulter blickte aus dem Höhleneingang und fragte uns, was wir möchten. Alevita schickt uns, antwortete Hagen. Wir wollen euch von Cordax erlösen. Die Hexe winkte uns in ihre Höhle.

Wir stiegen eine Treppe aus Wurzelgehölz hinab und gelangen unter das Wurzelwerk einer Eiche. Dort hatte Satunya ihre Behausung. An der Decke hingen Kräuter: getrocknetes Vierblatt, Moose und Pilze. Dazwischen ruhten Fledermäuse. In einer Ecke brodelte einen Flüssigkeit in einem großen Kessel. Über den Kessel hingen getrocknete Spinnenbeine, eingelegte Rehaugen, Katzendreck, Schwämmlinge, Käfer, Wolfsklöten und alles Mögliche, was man sonst noch so im Wald finden kann.

Alevita hat euch also gebeten uns gegen Cordax beizustehen, fragte die alte Hexe. Wie wollt ihr das anstellen?

Wir überlegen uns noch einen Plan, entgegnete Hagen. Doch werft zuerst einen Blick hier drauf. Kennt ihr diese Kreatur? Hagen wollte den Kadaver von Pflückeschnabel hervor.

Satunya erschrak: Pflückeschnabel! Das ist der Vertraute von Cordax. Habt ihr ihn getötet?

Er griff mich an, erwiderte ich. Er flog ständig an meinem Kopf, als würde er mir meine Haare ausreißen wollen.

Das hatte er auch vor, sagte Satunya. Cordax braucht Blut oder Haare von Leuten, um Kontrolle über sie zu bekommen. Ihr seid fremd in dieser Gegend. Von euch besitzt Cordax noch nichts. Wahrscheinlich wollte deshalb der Rabe euer Haar. Der Tod seines Vertrauten wird Cordax aber misstrauisch machen. Wie denkt ihr nun mit Cordax fertig zu werden?

Wir haben noch keinen richtigen Plan, antwortete ich. Aber eine Möglichkeit wäre, seine Zauberkraft einzuschränken. Alevita erzählte etwas von einem magischen Pakt, den er wohl geschlossen hat. Vielleicht gibt es hier einen Ort, der ihm mit Kraft versorgt. Wisst ihr, ob es in der Umgebung solche Orte gibt und wie man ihren Zauber aufhalten kann?

Satunya überlegte: Es gibt wirklich einige Orte hier, die magisch sind. Am Gipfel des Großen Kopfs haben wir einen Versammlungsort, an dem wir uns einmal im Monat zu Vollmond treffen. Nicht weit von hier steht der Hexenbaum. Einst soll er blühend und voller Kraft des Humus gewesen sein. Doch dann traf den Baum der Schimmel des Namenlosen Gottes. Seitdem ist er kahl. Folgt dem Weg an dem Hexenbaum vorbei, kommt man an den Hexenweiher. Die Dorfbewohner meinen, dass der Weiher Wünsche erfülle. Doch das ist Blödsinn. Vielleicht findet man an den Orten mehr Informationen zu dem Pakt, den Cordax geschlossen hat.

Ich könnte euch einen Trank brauen, der Cordax in eine Kröte verwandelt. Doch dieser hält nur einige Minuten an. Allerdings würde ich noch einige Zutaten dafür brauchen. Ein Vogelei und das Blut von Aalen aus dem Hexenweiher. Die Verwandlung in eine Kröte erschien uns wenig sinnvoll. Deswegen schlugen wir das Angebot der alten Hexe aus.

Ich finde es gut, dass ihr uns helfen wollt, sagte uns Satunya zum Abschied. Doch bitte, laßt Cordax am Leben. Gewalt ist keine Lösung.

Als wir die Baumhöhle verliessen, hatte Hagen einen seltsamen Gesichtsausdruck. Ich fragte ihn, was los sei. Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie Satunya nackt im Mondlicht tanzt. Manches muss man nicht sehen.

***

Unser nächstes Ziel war der Hexenbaum. Auf einer Lichtung stand ein kahler alter Baum, dessen Form an einen buckligen, untoten Waldschrat erinnerte. In vier Schritt Höhe sahen wir Buchstaben eingeritzt. Von unten konnte man die Schrift aber nicht entziffern.

Ihr könnt doch so gut klettern, forderte Hagen mich heraus. Doch irgendwas schreckte mich an dem Baum ab. Obwohl die Äste stark und stabil wirkten, traute ich mich nicht, mich an ihnen hochzuziehen. Also übernahm der Krieger die Kletterpartie und las von dort oben die Inschrift vor:

Sprich dreifach die Flüche auf den Hexenreigen,
deine Mittel dazu sollst du niemand zeigen.
Zur Mitternacht wird der Fluch sie zerdrücken,
denn im Mondschein kann nichts deinen Worten entrücken.
Zieh dreifach den Kreis aus Macht um dein Haus,
dies liefert die Feinde zum Fluche dir aus.
Nutz dreifach den Pfad weithin bis zur Quelle,
von dort strömt dir die Macht zu auf magische Welle.

Unter dem Spruch befanden sich im Stamm eingeritzt zwei Namen: Wic und Cordax. Wer auch immer dieser Wic war, so versorgte dieser Cordax mit magischer Kraft. Der Baum war sicher auch von großer Bedeutung dafür. Wir sollten ihn fällen, beschloss Hagen und holte seine Axt hervor. Es erschien nicht einfach. Der Baum wehrte sich. Zwar schlug er nicht zurück, doch verformte er sich ständig und versuchte Hagens Axthieben auszuweichen. Erst erstaunte es Hagen, doch er schlug weiterhin auf den Baum ein.

Lasst den Baum in Ruhe, schrie eine nackte spindeldürre Gestalt, die plötzlich auftauchte. Die Augen des Wesens funkelten vor Gier und aus dem Mund tropfte Geifer. Das winzige Wesen griff mit seinen Klauen Hagen an. Ich zog mein Florett, um  meinem Freund beizustehen. Nachdem wir dem Wesen einige Treffer beibringen konnten, flüchtete es laut fluchend.

Was war das denn, fragte mich Hagen.

Wohl ein Freund des Baumes, antwortete ich. Vielleicht haben wir diesen seltsamen Wic aufgescheucht.

Wer auch immer das war, es ist wohl nicht verkehrt, was wir tun, meinte Hagen, griff wieder zu seiner Axt und schlug weiterhin auf den Baum ein.

Hört sofort auf! Hört auf damit! Bitte! ertönte erneut die Stimme der Kreatur. Fast schon winselnd kehrte das nackte geschlechtslose Wesen zurück.

Warum sollte ich, fragte Hagen, der sich auf seine Axt stützte. Er stand mit dem Rücken zum Baum. Ich erwartete eigentlich, dass der Baum nun mit einem Ast nach dem Krieger schlägt. Doch tat er dies nicht.

Der Baum ist mein bester Freund. Ich kann nicht ohne ihn und er kann auch nicht ohne mich. Bitte verschont uns beide, bettelte das Wesen.

Seid ihr Wic? wollte ich wissen. Nachdem das Wesen meine Frage bejaht hatte, wollte ich wissen, was er mit Cordax zu schaffen habe.

Cordax, dieser eingebildete Mensch. Er wollte Magie ausüben können. Früher gehörte er einer Gauklertruppe an, konnte einige Taschenspielertricks, aber wirklich magisch war er nicht. Ich erfüllte ihm diesen Wunsch. Ich bin eine Schwarzfee. Um auf der Welt existieren zu  können, brauche ich jemanden, der mich mit Lebenskraft versorgt. Dazu gehört dieser Baum, aber auch Cordax. Cordax hilft mir zu Leben und ich versorge ihm mit Zauberkraft.

Was ist dir wichtiger, der Baum oder Cordax? wollte Hagen wissen.

Der Baum, antwortete Wic. Dieser steht ewig. Cordax ist sterblich.

Laßt uns einen Handel abschließen, schlug Hagen vor. Wir lassen den Baum in Ruhe und dafür hört ihr auf, Cordax mit magischer Kraft zu versorgen.

Wic näherte sich dem Hexenbaum und legte seine Hand auf dessen Stamm. Die tiefe Kerbe, die Hagens Axt im Stamm des Baumes hinterlassen hatte, wuchs wieder zusammen. Aber auch die eingeritzte Schrift, der Pakt zwischen Wic und Cordax verschwand aus dem Stamm. Wir hatten die Schwarzfee überreden können.

***

Hoffen wir mal, dass uns dieser Wic nicht anschwindelte, meinte Hagen, als wir vom Hexenbaum aufbrachen.

Ich bin überzeugt, dass er es ernst meinte. Er hängt mehr an dem Baum, den er schon  länger kennt, als an diesen Menschen. Davon bin ich überzeugt.

Solltet ihr euch täuschen, Janda, dann haben wir bald ein Problem, antwortete mir Hagen.

***

Wir waren auf dem Weg zur alten Mühle. Doch unterwegs besuchten wir noch die letzte der drei Hexen. Madayanas Unterkunft lag auf dem Weg zur Mühle. Sie lebte in einer Hütte, die nach einem Unwetter vor vielen Jahrzehnten als einzige von einer alten auelfischen Waldsiedlung übrig geblieben war. Die einst auf einer Plattform im Baum stehende Elfenhütte fiel durch den Sturm hinab und verfing sich etwa 2 Schritt über dem Boden, mit dem Dach nach unten in den starken Ästen. Madayana, die im Wald aufwuchs, hatte sich dort eingerichtet.

Da seid ihr ja endlich, empfing uns die mittelalte Hexe.  Auf unser Erstaunen erklärte sie uns, dass ihre Eule Mondauge uns schon die ganze Zeit über beobachtete. Was ist nun euer Plan mit Cordax?

Wir erzählten ihr von unserem Treffen mit Wic und dass wir die Fee dazu brachten, Cordax die Zauberkraft zu rauben. Nun wollten wir zur Mühle, um Cordax zu stellen. Wir wollten ihm die Möglichkeit geben freiwillig abzuziehen. Wenn er nicht dazu bereit wäre, müßten wir seinen Abzug mit Waffengewalt herbeiführen.

Das klingt nach einem guten Plan, meinte die Hexe. Brechen wir auf!

***

Madayana begleitete uns mit zur Mühle. Sie wollte uns helfen ihren Zirkelmeister zu vertreiben. Am späten Nachmittag erreichten wir die Mühle. In den Bäumen hingen Rabenfedern und andere Tierkörperteile. Madayana meinte, dies sei Teil eines magischen Kreises, der sich um das Gebäude zog. Da Cordax nun aber seine Kraft verloren hatte, waren diese ungefährlich.

Ein laut rauschender Gebirgsbach trieb das Mühlrad an. Madayana zeigte uns eine Stelle, an der das Wasser sehr flach war. Da konnten wir trockenen Fußes hinübergelangen.

Wir betraten die Mühle und suchten das Erdgeschoss nach Cordax ab. Wir fanden nur allerlei Tand. Ausgestopfte Tiere, Bilder von magischen Symbolen, sowie persönliche Erinnerungsstücke aus Cordaxs Vergangenheit als Gaukler: Jonglierbälle, einen Trickdolch, ein Balancierseil und eine Kristallkugel. Auch seine Hexenküche war im Erdgeschoss. Dort lag laut Madayanas Angaben ein Liebestrunk und jede Menge Zutaten für andere Gebräue. In seinem Schlafgemach konnten wir in einer Truhe einige Goldstücke finden und ein Fläschchen mit einem lähmenden Spinnengift. Hagen bemerkte hinter einem Regal im Schlafzimmer einen Hohlraum. Ein langer Gang führte zu einer Leiter. An der Decke war eine geschlossene Falltür.

Hagen stieg zuerst hoch, dann folgte ich. Zuletzt kletterte Madayana nach oben. Wir kamen in eine kleine Kammer.  An den Wänden standen Regale, gefüllt mit in Leder eingebundenen Bücher. Am Boden war mit Kreide ein magisches Symbol aufgemalt. Auf einem Schemel saß ein Mann. Das war wohl Cordax.

Was wollt ihr von mir? fauchte er uns an. Erst bringt ihr meinen Raben um, dann raubt ihr mir meine Kraft. Wollt ihr Geld, soll ich euch einen magischen Trank brauen? Was wollt ihr?

Hagen zog sein Schwert: Im Namen des Ordens der Noriker fordere ich auch hiermit auf, unverzüglich die Gegend hier zu verlassen und auch künftig sämtliche Scharlachtanereien zu unterlassen. Folgt unserer Forderung oder stirbt!

Cordax ließ sich davon nicht beeindrucken. Er zog sein Rapier und rannte brüllend auf Hagen zu: Gebt mir meine Macht wieder! Seiner Magie beraubt war er ein leichter Gegner für uns. Noch dazu half uns Madayana. Mit einem Blitz blendete sie den Hexenmeister. So konnten wir ihn schnell überwinden. Er lag um Gnade wimmernd vor uns am Boden. Wir schenkten ihm das Leben, unter der Bedingung, dass er die Gegend sofort verlässt und nie wieder zurückkehrt.

***

Alevtia, Satunya und Madayana waren sehr dankbar dafür, dass wir sie von ihrem Hexenmeister befreien konnten. Nun würden sie in Frieden im Wald ihren Ritualen nachgehen können, ohne von jemanden dabei drangsaliert zu werden. Als Belohnung durften wir die Sachen, die wir in der Mühle finden konnten, behalten.

Für die Einwohner von Wirselheim sah es so aus, als hätte Cordax von einem Tag auf den nächsten die Mühle und die Gegend verlassen. Niemand weinte dem Kotzbrocken, wie Baldur ihm nannte, eine Träne nach. Nur Ugdalf, der Wirt der Taverne Zum Hauer litt darunter. Er verlor innerhalb kürzester Zeit seine Haarpracht. Doch ohne die Haarsträhnen im Essen und den Getränken kamen auch wieder mehr Gäste in den Hauer. So hatte die Kahlköpfigkeit doch ihre Vorteile.

Da die alte Mühle jetzt leer stand, feierten Hagen und ich mit den drei Hexen ausgelassen unseren Erfolg. Nachdem die Hexen uns verlassen hatten, zogen sich Hagen und ich uns ins Schlafgemach zurück.

Jetzt sagt mir aber, Hagen, fragte ich meinen Gefährten, habt ihr immer noch Bilder vor Augen, wie Satunya nackt im Mondschein tanzt?

Ach, Janda, seufzte Hagen, nun hatte ich erfolgreich die Bilder von der alten Hexe verdrängt und jetzt beschwört ihr die wieder herbei.

Ich schmiegte mich an Hagen an und flüsterte ihm ins Ohr: Würden die Bilder wieder verschwinden, wenn ihr stattdessen mich nackt im Mondschein tanzen seht?


Golgolgol

Golgolgol heißt im wirklichen Leben Stefan Will. Er wurde zum DSA-Spieler, weil sein Bruder D&D besser fand, und ihn deswegen seine DSA-Basisbox schenkte. Bis Mitte der 1990er Jahren war Stefan in der Rollenspielszene sehr aktiv und probierte verschiedene Systeme aus. Nach einer langen Pause fand er 2020 das Interesse am Pen und Paper wieder und kehrte zu seinem "Heimatsystem" DSA zurück. Über die Änderungen im Lauf der Jahre war er sehr erstaunt. Trotzdem nahm er das Hobby begeistert wieder auf und gründete mit einem Mitspieler die Republik Norisburg, die zur Heimat ihrer Spielfiguren wurde. Hier im Blog berichtet Stefan von seinen Spielrunden und teilt seine Gedanken zu P&P-Themen mit.

1 comments on Hexenreigen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert